In den letzten Wochen habe ich sowohl auf Twitter als auch im Blog von Nachtkritik ein paar Beiträge zum Thema Publikumsschwund in den Theatern gelesen. Natürlich habe ich selbst – angeregt durch die Tweets und Blogpostings – auch darüber nachgedacht. Ich selber gehe im Moment auch sehr viel weniger ins Theater als zum Beispiel 2019 (das letzte „normale“ Jahr vor Beginn der Pandemie) und ich möchte meine Gründe hier kurz darlegen.
1. Wie komme ich hin?
Ich wohne am Stadtrand von Wuppertal. Unter normalen Umständen nicht weit von den Theatern (und anderen Kultureinrichtungen) in Wuppertal, Düsseldorf, Köln, Essen, Hagen, Bochum, Mülheim an der Ruhr, Moers und Dortmund (um nur einige der Orte zu nennen, die ich in der Zeit bis Anfang 2020 immer wieder gerne besucht habe). Ich mag die Vielfalt der Angebot in meinem Umfeld. Am Stadtrand zu wohnen heißt aber auch, dass ich „irgendwie“ dort hin kommen muß (und wieder zurück). Züge und S-Bahnen sind schon immer mal ausgefallen oder hatten technische Probleme. Meistens bin ich so früh losgefahren, dass es nur selten „schief“ lief (etwas traurig war der Moment, als mein Zug von Wuppertal nach Düsseldorf nicht in den Hauptbahnhof einfahren konnte und zurück nach Wuppertal fahren mußte, wodurch ich – in Sichtweite des damaligen Theaterstandorts – die Aufführung verpaßt habe). Heute sind Fahrten kaum noch planbar. Coronabedingt fallen in ganz großen Mengen Busse und Züge aus, Stellwerke sind unbesetzt und es ist extrem schwierig, irgendetwas zeitlich zu planen. Alles, was also zeitlich irgendwie „riskant“ ist, kommt daher im Moment nicht in Frage.
2. Wann ist die Veranstaltung zuende?
Ich wäre letztens gerne in Düsseldorf in „Orlando“ gegangen. Für eine Vorstellung an einem Freitagabend hatte ich sogar eine Karte, die Vorstellung mußte leider (wohl coronabedingt) ausfallen. Die weiteren Aufführungen waren jeweils nicht am Wochenende. Das Problem? Die Vorstellung begann um 20 Uhr und sollte bis 23 Uhr gehen. Das bedeutet, dass ich gegen 23.20 Uhr am Hauptbahnhof bin. Ich habe dann im Prinzip zwei Möglichkeiten mit dem Zug nach Wuppertal zu kommen – die S-Bahn um 23.30 Uhr oder den RE um 23.42 Uhr. Beide kommen (wenn alles gut geht) um Mitternacht in Wuppertal an. Mein letzter Bus (außer am Freitag oder Samstag) fährt um 0.12 Uhr. Wie oft wurde das schon zu normalen Zeiten sehr knapp, wie oft habe ich (an Wochenenden) den Bus verpaßt und dann bis 1.10 Uhr auf den Nachtexpreß gewartet. Aber der fährt halt nur am Wochenende (also Freitag und Samstag). Zu Fuß würde ich eine Stunde brauchen, ein Taxi hat schon vor ein paar Jahren mehr als 15 Euro gekostet (jetzt wäre es definitiv teurer). Das heißt für mich, dass ich solche Veranstaltungen einfach nicht besuchen kann.
Und ganz klar: Düsseldorf ist ein Beispiel. Ich muß auch immer wieder zur Straßenbahn joggen, um zum Beispiel bei Veranstaltungen in Essen oder Mülheim an der Ruhr noch irgendwie nach Hause zu kommen. Ja, das hält fit, lustig finde ich das allerdings nicht. Alles, was da nach 22 Uhr endet, ist oft extrem schwierig…..
3. Angabe der „Dauer“
Es klingt „unschön“, aber gerade wegen der Notwendigkeit, wieder nach Hause zu kommen, möchte ich vorher wissen, wie lange ein Stück ungefähr geht. Dann kann ich (einigermaßen) planen und entscheiden, ob das für mich möglich ist oder ob mir das Risiko, unterwegs zu stranden, zu hoch ist. Es gibt leider einige Theater, die das nicht angeben (oder erst im vor Ort gekauften Programm – ich plane dann per App hektisch, ob ich das hinbekomme…..). Gebt mir doch wenigstens eine Planungsmöglichkeit!
4. Kartenpreise
Die Preise für einfache Karten sind an den einzelnen Theatern sehr unterschiedlich. In Düsseldorf und auch in Essen sind die günstigsten Karten im Schauspielhaus ab 14 Euro zu erhalten, in Wuppertal ab Euro 20,50 (wobei auch bei Onlinetickets, die selbst ausgedruckt werden, eine weitere Gebühr dazu kommt), andere kleinere Theater liegen da häufig noch drüber. Es ist ein „kleiner Aspekt“, aber zusammen mit der Frage, welchen zeitlichen und finanziellen Aufwand ich treiben muß, um zum Theater und wieder zurück zu kommen, ist das nicht ganz unwichtig.
5. Rückabwicklung bei ausgefallenen Vorstellungen
Manchmal müssen Vorstellungen krankheitsbedingt ausfallen – gerade in den letzten Wochen war das öfter so. Der Umgang mit dem Ausfall (auch im Hinblick auf die Karten) ist aber sehr unterschiedlich. Ich kaufe meine Karten fast immer per Kreditkarte. In Wuppertal fiel im September eine Vorstellung aus. Die Menschen, die ihre Karten an der Theaterkasse gekauft hatten, wurden sofort vor Ort betreut, wer seine Karte per Kreditkarte gekauft hatte, wurde überhaupt nicht betreut. Uns wurde nur gesagt, dass die Karte über die Kreditkarte erstattet wird. Ja, einige Wochen später. Ganz anders der Umgang in Düsseldorf – dort habe ich Ausfälle einmal im Januar 2020 (vor Corona) und Ende April 2022 erlebt. Der Ausfall im Januar 2020 war sehr kurzfristig. Mir wurde als ich ankam angeboten, in eine andere Veranstaltung zu gehen (mir ist klar, dass das nicht an jedem Theater geht, das wäre auch nicht meine Forderung). Ich habe das abgelehnt und der Beitrag wurde mir sofort in meinem Kundenkonto gutgeschrieben. Im April 2022 war der Ausfall ein paar Tage vorher bekannt. Ich bekam eine Email, dass ich entweder an dem Abend in ein anderes Stück gehen könnte oder in eine spätere Vorstellung des ausgefallen Stücks oder den Betrag wiederum gutgeschrieben bekomme. Das find ich sehr gut. Noch besser fand ich, dass ich an dem Nachmittag angerufen wurde und gefragt wurde, welche Wahl ich treffen möchte. Ich wollte an dem Abend in das andere Stück und mir wurde sofort das neue Ticket geschickt. Toller Service vom Düsseldorfer Schauspielhaus. Ich habe mich auch sehr herzlich bedankt!!
6. Corona ist noch nicht vorbei – warum findet „online“ nichts mehr statt?
Ich weiß, dass die letzten zwei Jahre für die Menschen in Kunst und Kultur sehr schwierig waren. Ich kann den Wunsch nach der Anwesenheit des Publikums durchaus verstehen. Andererseits habe ich in der Zeit viele sehr besondere „Experimente“ und „Formate“ erlebt, die ich offline nicht erlebt hätte. Ich habe vor allem Theater „gesehen“, die ich räumlich sonst nicht wahrgenommen hätte (Nürnberg, Augsburg, Hannover um nur ein paar zu nennen). Diese Formate (für die ich zum Teil auch Geld bezahlt habe) waren zum Teil sehr besonders. Beispiel? Amelle Schwerk, die mich im Theaterfilm „Judas“ der Karfreitag 2021 ausgestrahlt wurde, fragte, ob ich denn mein Ticket bezahlt hätte? Die Veranstaltung war kostenfrei, aber diese (vermeintliche) Nähe zwischen der Schauspielerin, die mich nah am Bildschirm fragte und mir, war schon sehr faszinierend. Viele andere gute Beispiel könnte ich aufführen – vor allem die Liveformate waren genial.
Und jetzt? Nichts (oder zumindest fast nichts). War ich als digitale Zuschauerin denn nur eine „Notlösung“? Kann es Theater nur geben, wenn ich persönlich ins Theater komme?
7. Corona ist noch nicht vorbei – ich will andere nicht gefährden
Der zweite Aspekt ist, dass ich nach fast jeder Veranstaltung die entsprechenden Warnungen in meiner Corona-Warnapp sehe. Daraus folgt für mich, dass ich vor für mich wichtigen Terminen (beruflich, aber auch zum Beispiel mein Zahnarztkontrolltermin) auf den Besuch kultureller Veranstaltungen verzichte. Und mit einer roten CWA möchte ich nicht ins Theater gehen. Alternativen digitaler Art gibt es aber nicht, Formate, die draußen stattfinden (Spaziergänge zum Beispiel) sind selten (glücklicherweise habe ich Anfang Juni vom FFT Düsseldorf gleich zwei Spaziergänge mitmachen können).
Da verlieren die Theater mich, denn ich bin Ihnen anscheinend nicht wichtig, wenn ich nicht persönlich in die Innenräume komme.
8. Die Stücke
Ich bin eigentlich fast immer neugierig, es gibt wenige Stücke/Autoren, die mich persönlich nicht so sehr ansprechen. Manchmal finde ich es aber ein bißchen traurig, dass bestimmte Stücke gleichzeitig oder kurz hintereinander an Theatern in der Nähe auftauchen. Die Stücke von Lot Vekemans sind da ein Beispiel, Lenz von Büchner ebenso. Wenn ich das Stück gerade in einem Theater gesehen habe, dann ist mein Interesse, dieses Stück kurz danach noch einmal in einem anderen Theater zu sehen, eher gering.
9. Die fehlende Einführung
Ich versuche tatsächlich vor jedem Theaterbesuch, das entsprechende Stück zu lesen. Manchmal habe ich Glück, dass es zeitlich einfach gut paßt (ich entdeckte „Das achten Leben (Für Brilka)“ auf dem Spielplan in Essen als ich gerade die letzten Seiten las, das paßte perfekt). Jede Inszenierung eines Stücks hat ja Besonderheiten – welcher Teil der Geschichte ist besonders wichtig, wie paßt etwas zur heutigen Zeit und so weiter. Ich finde das spannend. Und ich möchte das gerne vor der Aufführung hören oder lesen – eben weil ich neugierig bin. Ich mag es daher, wenn es vor der Aufführung eine kurze Einführung gibt. Oder zumindest ein Programm, dem ich ein paar wesentliche Gedanken entnehmen kann. Beides ist oft schwierig. Ich erinnere mich an eine Einführung die inhaltlich besagte „Sie werden schon sehen“ (es war eine Adaption von Antigone auf die Toten im Mittelmeer und nein, ohne Kenntnis des Textes hätte ich nicht verstanden, worum es geht) und an Programmhefte, die nicht einmal eine kurze Zusammenfassung der Handlung (nicht jede/jeder kennt die Texte, um die es geht) enthalten. Das macht mich oft traurig und ratlos.
10. Das Digitale als neue Chance?
Wie oben schon geschrieben habe ich in den letzten zwei Jahren viele spannende Theaterformate miterleben dürfen. Dekalog im Onlineformat (Zürich), Macbeth über Telegram (Nürnberg), Werther live, Abende mit Spielelementen (über Alan Turing aber auch als Escaperoom), Improtheater über YouTube mit Anweisungen über den Chat – so vieles war so toll, innovativ und genial. Und jetzt ist alles weg. Es macht mich traurig, dass dies nicht auch als eine zusätzliche Möglichkeit gesehen wird (das soll auch nicht kostenfrei sein!). Warum also nicht beide Welten „bedienen“?
Ich mag Theater – wirklich. Aber die Hürden sind manchmal schon ziemlich hoch.