Es ist eine merkwüdige Zeit. Ende Dezember war ich im LWL Museum für Archäologie in Herne in der Pest-Ausstellung . Eine spannende Ausstellung. Ich hätte nicht gedacht, daß wir nur kurze Zeit später auch hier in Europa eine Pandemie erleben würden. Es ist daher an der Zeit, ein paar Zeilen zu diesem Thema zu schreiben.
Die persönliche Ebene
Wer über einen längeren Zeitraum meine Tweets und/oder Blogbeiträge gelesen hat weiß, daß ich praktisch keine privaten Kontakte mehr zu Menschen habe. Das sind eben die persönlichen Spuren der letzten beiden Jahre. Ich bin tatsächlich nur für mich selbst verantwortlich, andere Menschen gibt es in meinem privaten Umfeld nicht. Insofern fällt mir der Gedanke des „Social Distancing“ sehr leicht. Da ist ja nichts, was ich ändern muß. Mit Anfang 50 ohne (bekannte) Vorerkrankungen ist mein persönliches Risiko eines schweren Verlaufs vermutlich eher gering. Aber natürlich gibt es dafür keine Garantie. Der Gedanke an den Tod bereitet mir jedoch keine Angst. Wenn es denn „jetzt“ sein soll, dann ist das halt so. Was ich für mich persönlich allerdings nicht in Ordnung fände – wenn ich das Risiko für Euch und Eure Angehörigen und Freunde erhöhe. Es ist eben auch meine Verantwortung mit dazu beizutragen, daß es Euch und Euren Angehörigen und Freunden „gut“ geht. Ich habe daher keine weiteren Theaterkarten gebucht, keine Ausstellungen besucht und auch die Nutzung des ÖPNV auf notwendige Wege beschränkt. Mit diesem Verzicht versuche ich dazu beizutragen, die Ausbreitung zu verlangsamen („flatten the curve“). Ja, für mich ist das ein Verzicht, denn Theaterbesuche waren in den letzten beiden Jahren mein größtes Vergnügen. Gleichzeitig bin ich dankbar, daß ich so viele schöne Aufführungen und Veranstaltungen erlebt habe und ich freue mich darauf, das auch irgendwann wieder machen zu können. Es ist meine Entscheidung und es ist für mich so vollkommen in Ordnung. Ich werde jetzt also endlich mal richtig aufräumen (wer es glaubt ….) und die vielen ungelesenen Bücher lesen (schon eher……).
Die gesellschaftliche Ebene
Ich habe die Diskussionen, Tweets, Beiträge etc. rund um das Thema Coronavirus sehr intensiv verfolgt. Nicht aus Panik, nicht einmal wirklich aus Angst, eher aus großem Interesse. Manche Äußerungen haben mich irritiert und geärgert (oft, weil es stark vereinfachende Äußerungen waren), manche Informationen waren schwer verständlich, manche Beiträge fand ich sehr hilfreich. Es ist tatsächlich unheimlich schwierig, das richtige Maß zwischen notwendiger Vorsicht und maßloser Übertreibung zum jeweils richtigen Zeitpunkt zu finden. Daher bin ich für die vielen Quellen dankbar, die die notwendigen Informationen in einer für mich verständlichen Form aufbereiten. Beispielhaft möchte ich hier die Beiträge von Spektrum (danke an @fischblog) und die mittlerweile auch als Transkript verfügbaren Gespräche des NDR mit Christian Drosten erwähnen. Es ist gut und hilfreich, daß Menschen sich die Zeit nehmen, ihr Wissen mit anderen Menschen zu teilen.
Was ich tatsächlich schwierig finde ist der unterschiedliche Umgang mit und das unterschiedliche Verständnis von „Verantwortung“. Ich habe mich an die Definition von Schmid erinnert, die mir im Rahmen der Mediationsausbildung begegnet ist. Verantwortung bedeutet danach Antworten zu geben und zwar auf der Ebene der Person als „antworten wollen“ auf der Basis der eigenen Werte und „antworten können“ auf der Basis der Qualifikation, auf der Ebene der Organisation als „antworten dürfen“ (Ausstattung – zum Beispiel mit Befugnissen) und „antworten müssen“ als Kriterium der Zuständigkeit. Gerade auf der gesellschaftlichen Ebene sind die Kriterien Zuständigkeit und Befugnisse hoch interessant. Möglicherweise entdecken wir jetzt Lücken und Unklarheiten in unserer Gesetzgebung. Das sind Themen, die uns aus rechtlicher Sicht „danach“ sicherlich noch lange beschäftigen werden. Die unterschiedlichen Zuständigkeiten und Befugnisse machen manches schwierig und zeitaufwändig. Das empfinde ich aus der Beobachungsperspektive schon manchmal als „nervig“. Andererseits ist es wahrscheinlich leicht, etwas zu fordern oder vorzuschlagen, wenn man selbst nicht die Verantwortung für die Entscheidung trägt. Ich bin daher für die vielen Menschen dankbar, die sich im Moment mit diesen Themen auseinandersetzen und sich bemühen, gute Entscheidungen zu treffen.
Das bringt mich zum Thema „Wohlwollen“. Ich war gestern positiv überrascht als ich ein paar Minuten bei Phoenix im Livestream die Regierungsbefragung von Herrn Spahn im Bundestag verfolgte. Die Arbeit von Herrn Spahn und vom RKI wurde mehrfach positiv erwähnt. Ich finde das richtig und wichtig. Es gibt zig Themen, bei denen ich mit den Ansichten von Herrn Spahn überhaupt nicht übereinstimme und über diese Themen (zum Beispiel Ausstattung von Krankenhäusern/Pflegeheimen, Umgang mit dem Thema Sterbehilfe) sollte man auch „streiten“, aber ich sehe auch, daß Herr Spahn sich wirklich sehr bemüht, im Rahmen seiner Befugnisse und Zuständigkeiten gute Arbeit zu leisten. Das ist in der aktuellen Situation schwierig genug. Ob das, was in Zusammenarbeit mit den Länderbehörden und lokalen Gesundheitsbehörden gemacht und entschieden wird, ausreicht, werden wir erst „hinterher“ wissen.
In dem Zusammenhang finde ich den Umgang mit der Zahl 1000 spannend. Jede Zahl für Treffen oder Veranstaltungen erscheint mir nach dem, was ich bisher gelesen habe, willkürlich. Es ist eher eine Frage der Wahrscheinlichkeit und natürlich auch des Glücks (oder Unglücks), ob beziehungsweise wieviele am Virus erkrankte Menschen teilnehmen. Das Schwierige ist ja, daß viele Menschen das Virus in sich tragen können ohne es zu wissen/zu merken. Das kann bei 900 Menschen genauso problematisch sein wie bei 1000. Letztlich hängt es damit zusammen, wie eng man mit anderen Menschen „zusammenkommt“ – gerade in kleineren Theatern empfinde ich das zum Beispiel oft eher als Problem als in größeren Häusern. Eine Begrenzung auf „nur“ 999 Besucher/Zuschauer, die abgezählt werden, mag zwar zahlenmäßig richtig sein, den Aspekt der Verantwortung beantwortet sie für mich nicht. Deshalb bin ich auch dankbar, daß zum Beispiel die Stadt Düsseldorf alle Aufführungen in den städtischen Theatern abgesagt hat, obwohl im Schauspielhaus im großen Haus zum Beispiel nur 720 Plätze sind (Meldung auf der Startseite des Schauspielhauses Düsseldorf). Das ist für mich ein gutes Zeichen, daß Verantwortung wahrgenommen und gelebt wird. Bei vielen anderen Veranstaltern und Häusern lese ich das auch. Gleichzeitig ist mir auch bewußt, daß dies bei vielen Veranstaltern und Häusern (gerade auch bei den kleineren und rein privat „organisierten“) zu großen Einnahmeausfällen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten führen wird. Aber dazu später.
Mein besonderer Dank gilt in dieser Situation allen, die trotz eigener persönlicher Gefährdung, tagtäglich – ohne Möglichkeit des Rückzugs in ein Homeoffice – ihre Arbeit vollbringen. Allen voran natürlich die Menschen im (ohnehin schon überlasteten) medizinischen Bereich, aber auch alle die sich zum Beispiel um unsere Versorgung (zum Beispiel mit Lebensmitteln) und um unseren Schutz (Feuerwehr, Polizei) kümmern, die unser „normales“ Leben so weit wie möglich aufrecht erhalten!
Die wirtschaftliche Ebene
Einerseits führt jedes Zögern bei notwendigen Einschränkungen zu mehr Kranken (und damit auch mehr Toten), andererseits hat jede einschränkende Maßnahme auch gravierende wirtschaftliche Folgen. Ich selber kann noch nicht absehen, ob beziehungsweise in welchem Ausmaß mich diese Situation treffen wird. Nach den letzten persönlich schwierigen Jahren sind meine Reserven sehr gering. Andererseits ist es bei mir in dem Bereich bisher immer irgendwie „gut“ gegangen. Ich hoffe, daß es „irgendwie“ auch diesmal so sein wird.
Zu den wirtschaftlichen Folgen bei Unternehmen gab es schon Vorschläge. Was aus meiner Sicht bisher komplett unter den Tisch fällt ist der Umgang mit mit den vielen Selbständigen, bei denen Aufträge wegfallen (zum Beispiel wegen Ausfall von Workshops/Trainings, Konferenzen) und dem ganzen Kunst- und Kulturbereich und den dort eben nicht abgesicherten Kreativen/Künstlern. Es ist wichtig, daß wir als Gesellschaft hier Lösungen entwickeln, die uns allen ein gutes Überleben in dieser schwierigen Situation erlauben. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Lösungen tatsächlich aus der Politik kommen werden. Dort wird meines Erachtens der Fokus gerade sehr stark auf die größeren Unternehmen gelegt. Das bringt mich zum nächsten Punkt – nämlich zu der Frage, was es an Ideen und Entwicklungen gibt, die wir trotz aller Einschränkungen, anstoßen oder gar umsetzen können.
Die „kreative“ Ebene
Gerade in den letzten Tagen habe ich den Start einiger Aktionen/Maßnahmen gesehen, die sich mit den Problemen und Beschränkungen, mit dem Verlust der Kontakte durch Social Distancing und den Folgeproblemen beschäftigen. Beispielhaft für die Organisation des Alltags (Einkaufen, Gespräche etc) sind bei Twitter Tweets mit den Hashtags #Coronahilfe und #NachbarschaftsChallenge. Jede/-r kann dort anbieten, was er/sie leisten könnte oder was er/sie braucht. Das ist gelebte Gemeinschaft und Solidarität in Zeiten des phyischen Kontaktverzichts. Danke an @Natascha_Strobl, die frühzeitig dieses Thema angeregt hat und die jetzt (weil ihr Kind zu einer Risikogruppe gehört) sich selber in „freiwilliger Quarantäne“ befindet, um das Leben ihres Kindes zu schützen.
Gleichzeitig erlebe ich, daß einige Organisationen Veranstaltungen oder Wissen, kostenfrei zur Verfügung stellen. So bietet die Plattform Future Learn zum Beispiel einen kostenfreien Onlinekurs in englischer Sprache zum Thema „Covid-19“ an, der am 23.03.2020 startet. Und morgen Abend kann man die Berliner Philharmoniker mit Sir Simon Rattle kostenlos in der Digital Concert Hall erleben.
An anderen Orten werden Tipps zu Livevideoformaten und Onlinelearning gesammelt – gerade auch gut für diejenigen, die zumindest einen Teil der Veranstaltungen/Workshops in die digitale Welt „übertragen“ können. Veranstaltungen der ausgefallenen Leipziger Buchmesse und auch anderer Konferenzen werden zum Teil als Videos aus dem Home-Office gestreamt.
Technisch ist heute viel möglich. Was mir fehlt? Der Überblick über die „Orte“ und „Zeiten“, wo solche Veranstaltungen stattfinden. Es sind immer einzelne Tweets, in denen ich Hinweise auf solche Veranstaltungen finde. Was mir auch fehlt, die Möglichkeit, kleinere Veranstalter/Einzelne mit kleinen Beträgen zu unterstützen. Ein gedankliches Beispiel: wenn jemand etwas für mich Wertvolles kostenlos im Netz zur Verfügung stellt und ich es mir finanziell leisten kann, dann bin ich gerne bereit, einen Beitrag zu leisten. Aus diesem Grund bin ich zum Beispiel bei „taz zahl ich“ mit dem Mindestbetrag dabei – eben weil ich es gut finde, daß ich mit meinem kleinen Beitrag anderen Menschen die Möglichkeit geben kann, Artikel weiterhin kostenfrei auf der Webseite zu lesen. Könnte man das nicht auch ähnlich für den Kulturbereich machen? Im Sinne von „jeder Euro zählt“?
Die spannende Frage für mich ist daher: welche neuen Angebots- und Bezahlmodelle für Kultur, Kunst, Wissen und/oder Dienstleistungen können wir entwickeln? Wie können wir dank der technischen Möglichkeiten aus der Krise heraus neue Modelle und Ideen entwickeln? Wie können wir aus einem Moment des „Shutdowns“ und des (vermeintlichen) „Stillstands“ eine kreative also ideenschaffende virtuelle Umgebung schaffen, in der wir neue Kontakte schließen und Neues angstlos ausprobieren? Ja, wir können auch da Fehler machen und scheitern. Das ist mir oft genug passiert. Aber lieber versuchen und scheitern als komplette Untätigkeit!
Ihr habt Ideen? Ihr kennt Initiativen? Ich freue mich über das, was wir in dieser schwierigen Zeit gemeinsam anregen und bewegen können!
Hallo Astrid,
Deine Fragen sind absolut richtig. Ich hoffe auch, dass wir auf möglichst vielen Gebieten diese Krise als Chance nutzen.
Kennst Du schon den ‚Coronacodex‘ von Holger Heinze?
https://medium.com/@holger.heinze_81247/coronacodex-meine-selbstverpflichtung-w%C3%A4hrend-der-covid-19-epidemie-f6eecf35a174