Juli 2017

Im Juli 2017 war meine Mutter fünf Jahre wegen ihrer Brustkrebserkrankung in Behandlung. Wir wußten von Anfang an, daß eine Heilung nicht möglich war. Anfangs hatte ich nicht gedacht, daß sie überhaupt so lange und mit so großer Lebensqualität würde leben können. Noch Ende Juni hat meine Mutter eine Seite des Treppengeländers der Außentreppe abgeschliffen und gestrichen (die andere Seite erwartet mich in diesem Sommer …..).

Ich fuhr – völlig ohne irgendwelchen bösen Vorahnungen – nach Berlin zu einer Fachkonferenz. Wie immer erlaubte ich mir ein bißchen „Rahmenprogramm“ – Museums- und Theaterbesuch am Freitag, weiterer Theaterbesuch am Sonntagabend und dann noch die BUGA am Montag. Als kleines Andenken von der BUGA habe ich meiner Mutter „Bienenkugeln“ mitgebracht – drei Kugeln mit bienenfreundlichen Pflanzen.
Es war ihr wichtig, diese Bienenkugeln sofort einzupflanzen, das haben wir auch gemacht. Am Rande sagte sie, daß sie sonst ja nicht sicher sein könne, ob sie das Blühen der Pflanzen noch erleben werde. Wie wahr, aber das ahnte ich in dem Moment noch nicht. Wir haben uns täglich an den Bienenkugeln erfreut – erst haben wir mit Spannung auf das Keimen gewartet, dann auf die ersten Blumen. Und auch dieses Jahr blühen die Bienenkugeln – unter anderem war eine wunderbare Mohnblume dabei, eine Blume, die meine Mutter immer sehr geliebt hat.

Im Juli war auch klar, daß die aktuelle Chemotherapie nicht mehr wirkte, denn die Lymphknotenmetastasen waren wieder einmal stark vergrößert. Kein Problem dachte ich, die nächste Chemo wird es schon richten.
Meine Mutter litt zu diesem Zeitpunkt schon unter immensen Stimmungsschwankungen. Das war gar nicht so einfach. Oft habe ich in diesen Tagen das Thema der Stimmungsschwankungen in meinen handschriftlichen Seiten (die ich damals nicht täglich geführt habe) festgehalten. Es waren oft Kleinigkeiten – daß ihr Kaffee alle war (ja, hatte ich nicht gesehen, da ich nur Tee trinke und sie mir das nicht gesagt hatte), daß zur Currywurst kein Ketchup da war, ich durfte aber auch keine neue Ketchupflasche im Supermarkt um die Ecke besorgen …. Ja, alles Kleinigkeiten, aber ein Anzeichen der steigenden Unruhe.

Es war irgendwie eine schwierige Zeit. Wir wußten beide, daß es ihr nicht gut ging und ich habe auch viele Bemerkungen geradezu stoisch hingenommen, aber so richtig entspannt war diese Zeit nicht. Heute weiß ich, daß meine Mutter damals schon ahnte (oder sogar wußte), daß sie dem Tod entgegenging. Damals wußte ich es nicht. Ich weiß aber auch nicht, ob mir dieses Wissen zu diesem Zeitpunkt wirklich geholfen hätte …..

Und so floß der letzte halbwegs unbeschwerte Monat im Jahr 2017 dahin …..

Erinnerungen 2017

Vorgestern wurde mir bewußt, daß vor einem Jahr der Weg meiner Mutter in den Tod angefangen hat. Es war eine traurige Erinnerung – im Gegensatz zu den schönen vielen Erinnerungen an die Zeit mit meiner Mutter – und sie hat auch zu ein paar Tränen geführt. Ich habe das bei Twitter dann so geschrieben:

Bald beginnt für mich eine schwierige Zeit der Erinnerungen: vor einem Jahr um diese Zeit war meiner Mutter schon bewusst, dass sie bald sterben werde, ihre Unruhe habe ich bemerkt, die Stimmungswechsel waren zT sehr abrupt. Ab dem 08.08. wußte ich es auch, ich schrieb es auf.

Und jetzt sitze ich hier und die Tränen laufen mir über das Gesicht. Vor einem Jahr hat meine Mutter immer gesagt „Nicht weinen“ und ich bin oft herausgegangen, weil ich die Tränen nicht ganz zurückhalten konnte. Es ist gerade alles wieder so nah und greifbar.

Passend zu den vorgehenden Tweets dieses Gedicht:
Über allen Gipfeln Ist Ruh,
In allen Wipfeln
Spürest du Kaum einen Hauch;
Die Vöglein schweigen im Walde.
Warte nur, balde
Ruhest du auch.

(Goethe)

Und jetzt habe ich beschlossen, über die Zeit vom Juli 2017 bis zum Dezember 2017 zu schreiben und zwar immer dann, wenn in meiner Erinnerung etwas Wichtiges – Schönes oder Trauriges war. Es ist ein guter Weg für mich, mich an diese Zeit zu erinnern und gleichzeitig gut damit umzugehen, daß manche dieser Erinnerungen einfach traurig sind.

Ich werde in den nächsten Tagen mit dem Juli 2017 beginnen und dann nach und nach erzählen, woran ich mich erinnere.

Schwarz + Weiß = Grau?

Noch bis zum 15.07.2018 läuft im Düsseldorfer Kunstpalast die Ausstellung „Black & White“ – nach eigener Aussage die erste Ausstellung, die bewusst Werke in „schwarz-weiß“ zeigt. Die Ankündigung habe ich vor kurzem am Bahnhof gesehen und heute war ich in der Ausstellung, die ich zugleich beeindruckend aber auch bedrückend fand (was durchaus auch an meiner Grundstimmung liegen kann). Abgesehen von den dort gezeigten Bildern und Installationen ließ mich das Themenfeld „schwarz-weiß-grau“ überhaupt nicht los und so schreibe ich jetzt diesen Blogbeitrag.

Schwarz-Weiß
Schwarz-Weiß ist für mich das Sinnbild der Polarisierung und vielleicht hat mich das Ausstellungsthema (zusammen mit dem Aspekt „Grau“ deshalb so getroffen). Weiter auseinander können Menschen, können Ansichten und Meinungen nicht liegen. In meinem Kopf sind fast nur Bilder und Worte der Gegenüberstellung und Polarisierung: zumindest im westlichen Kulturkreis Trauer (Tod, Beerdigung) und Freude (Hochzeit, Taufe, Diner Blanc), Rassismus, die Spielsteine beim Schachspiel, wo Gewinnen oder Verlieren im Vordergrund stehen, Schwarz-Weiß-Denken als „alles oder nichts“. Aber halt: das sind Gedanken, die bei „schwarz-weiß“ ganz klammheimlich ein „oder“ in die Mitte setzen. Etwas ist entweder schwarz oder weiß, so wie etwas entweder richtig oder falsch ist, traurig oder fröhlich, schön oder häßlich, leise oder laut. Was aber, wenn die Entscheidung nicht so „eindeutig“ ist? Ein Foto von Robert Mapplethorpe machte mich sehr nachdenklich. Das Foto zeigt seitlich den Rumpf eines nackten Mannes mit seinem Geschlechtsteil. Die linke Hälfte des Fotos ist eher hell, die rechte dunkel, die Haut schimmert vor dem hellen Hintergrund dunkel und vor dem dunklen Hintergrund hell. Ist der Fotografierte nun ein weißer oder ein schwarzer Mann? Und ist das überhaupt wichtig? Also wichtig, um das Foto anzuschauen, zu mögen oder abzulehnen?

Diese Frage führt zu einer – fast schon verwegenen – weiteren Frage: Was aber – wenn man wie im Ausstellungstitel – schwarz-weiß nicht als entweder-oder sondern als „Symbiose“ versteht? Ich erinnere mich sofort an das Lied „Ebony and Ivory“ von Paul McCartney und Stevie Wonder. Ein wunderbares Beispiel für das gute und erfolgreiche Zusammenwirken von „schwarz“ und „weiß“. Aber halt: erinnert Ihr Euch an Euren Farbkasten aus der Schulzeit? Was passiert, wenn man schwarz und weiß mischt? Es wird ….

Grau
Grau. Grau – in allen Schattierungen und Nuancen. Wir bekämpfen den Grauschleier in der Wäsche (aber nicht in unserem Leben), wir lassen uns von grauen Herren die Zeit stehlen, grau ist alle Theorie und wir bewohnen graue Städte am Meer. Ja, vor nicht allzu langer Zeit bestätigte uns sogar die Werbung, daß der Tag grau sei (der passende Whiskey für die Nacht war dann – natürlich – schwarz-weiß). Grau wie in grausam.

Und als grausam empfand ich auch die Installation von Hans Op De Beek. Grausam nicht im Ansehen, sondern im Aushalten – weil sie ganz in grau gehalten war. Man durfte diese Installation fotografieren (dies war sogar ausdrücklich erwünscht) und ich füge meine (natürlich schlechten) Fotos hier ein, um einen kleinen Eindruck zu geben.




Nur die Besucher des Raumes sollten Farbe mitbringen. Aber was, wenn man diese Farbe nicht mitbringt? Nicht in sich trägt? Das war es, was mich sehr nachdenklich machte und was ich als sehr bedrückend empfand.

Nicht nur, daß ich im Moment – aus persönlichen Gründen – immer noch an manchen Tagen einen gewissen Grauschleier mit mir herumschleppe (heute mehr als zum Beispiel gestern); nein, ich habe auch den Eindruck, daß Deutschland durch das ständige Aufreiben zwischen schwarz oder weiß einen dichten Grauschleier angenommen hat. Das offene und bunte Deutschland meiner Jugend-, Studien- und ersten Berufsjahre ist mir abhanden gekommen. Nicht weil ich es nicht schätze, sondern weil Menschen über die Geschicke des Landes bestimmen, die mit meinen Vorstellungen von Werten und Vielfalt wenig oder gar nichts anfangen können.

Mehr Farbe?
Es ist gar nicht so leicht, aus dem „Grau“ wieder herauszukommen. Das merke ich sowohl persönlich als auch im Hinblick auf die Gesellschaft. Äußerungen, die vor einigen Jahren noch undenkbar und unsagbar waren, sind heute für viele „normal“ geworden, mich lassen sie erschaudern und mir wachsen buchstäblich graue Haare. Wir achten nicht mehr auf andere Menschen – vor allem nicht auf die anderen, die zum Beispiel nicht deutsch, nicht weiß, nicht christlich oder nicht konservativ sind. Und wir achten nicht nur nicht mehr auf diese Menschen; nein, viel grundlegender wir achten diese Menschen nicht als Menschen mit Menschenrechten. Damit treten wir selbst hinter den Dominikaner (weiße Kutte, schwarze Capa – also auch hier schwarz und weiß) Bartolomé de las Casas zurück, der schon ab 1514 (!) für Menschenrechte eintrat.
Schlimmer noch: Wir lassen zu, daß Menschen auf dem grauen Meer sterben, weil wir Angst haben, daß sie uns und unser Leben verändern. Ja, und? Es ist an uns Veränderung so zu gestalten, daß es möglichst allen Menschen dabei so gut wie möglich geht. Das wir das bisher nicht in ausreichendem Maße – vor allem auf anderen Kontinenten – gemacht haben, ist ein Teil der aktuellen Probleme.
Und: Wer hätte vor vielen Jahrhunderten gedacht, daß wir heute in Deutschland Kartoffeln und Tomaten lieben? Wer hätte gedacht, daß wir gerne Pizza essen? Wer hätte gedacht, daß wir Kaffee und Tee trinken? In der Vielfalt, die gerade auch von außen kommen kann, steckt ein großer Teil der Farbe, die unser Leben – persönlich aber auch in der Gesellschaft – bunt machen kann. Wohlgemerkt – kann! Es ist nicht so, daß wir alle ein buntes und vielfältiges Leben führen müssen. Jeder kann seine eigenen Entscheidungen treffen. Aber ich freue mich immer über neue Entdeckungen – Bücher, Filme, Musik, Restaurants und Kochrezepte, die mir eine neue Farbnuance aufzeigen.

In diesem Sinne: ich möchte das „Grau“ hinter mir lassen und wieder mehr Farbe in meinem Leben haben. Und diese Möglichkeit wünsche ich mir auch für mein Umfeld.