Heute teilen sich die beiden von mir ausgesuchten Autoren den Vornamen „David“. Anfangen möchte ich mit David Van Reybrouck, dessen Buch „Against Elections“ hervorragend zum heutigen Wahlsonntag in Österreich (Bundespräsidentenwahl) und Italien (Referendum über die Verfassungsänderung) paßt. Der Titel des Buches „against elections“ also „gegen Wahlen“ hatte mich zunächst überrascht. Was in aller Welt sollte in einer Demokratie gegen Wahlen sprechen. Umso überraschter und nachdenklicher bin ich nun nach der Lektüre dieses Buches.
David van Reybrouck stellt fest, daß weltweit und vor allem auch in Europa ein „demokratisches Ermüdungssyndrom“ vorliegt. Was ist der Grund für diese Erkrankung? Sind es die Politiker, wie es oft von populistischen Parteien behauptet wird? Sind es die langwierigen Abstimmungsprozesse, die von Experten schneller und damit „effizienter“ durchgeführte werden könnten? Ist es die Tatsache, daß durch die Parlamente der Abstand zwischen Regierung und Regierten (zu) groß ist? Oder war das System der repräsentativen Vertretung durch Wahlen nie wirklich „demokratisch“ sondern eher auf Schaffung einer „Wahlaristokratie“ ausgelegt?
Inwieweit leben wir in einem vertikalen Modell, daß aufgrund einer solchen „Wahlaristokratie“ ein oben und unten kennt und voraussetzt? Inwieweit verstärkt sich die Ermüdung dadurch, daß wir Wahlen immer wieder – trotz relativ großer Machtlosigkeit – als Momente der Hysterie und der nationalen Krise wahrnehmen?
Führt eine zufällige Auswahl (zum Beispiel durch Losverfahren) zu besseren inhaltlichen und vor allem demokratischeren Ergebnissen? Was auf den ersten Blick fürchterlich irritierend klingt, belegt David Van Reybrouck durch historische Vergleiche und durch die Analyse von Texten, die sich mit der „Republikgründung“ in den USA und Frankreich befassen. Ja, er könnte mit seiner Diagnose und seiner Kritik recht haben. Spannend ist aber vor allem die Frage, was wir mit der Diagnose anstellen? Wie behandeln wir den Patienten „Demokratie“? Was wollen wir erreichen?
David Van Reybrouck liefert keine einfache Lösung und schon gar keine, die mit „neue Politiker“ oder „mehr direkte Demokratie“ auskommt. Er hinterfragt das sensible Geflecht von Zweckmäßigkeit und Anerkennung politischen Handelns und stellt Methoden vor, die Menschen auf andere Art und Weise in die Prozesse einbinden.
Das ist der Punkt an dem ich an den anderen David dachte – David Bohm und sein Buch „Der Dialog“. Ich habe in der letzten Zeit viele Diskussionen in den Medien verfolgt, Talkshows aber auch Gespräche bei Veranstaltungen. Immer geht es um das Überzeugen, das Gewinnen – ich bin besser, meine Meinung ist besser. Dieses „Gewinnenwollen“ gehört zur Diskussion – zum „Schlagabtausch“. Was aber, wenn wir es schaffen, unsere Meinungen – unsere Annahmen – in der Schwebe zu lassen. Wenn wir etwas „offen“ lassen können, ein Gespräch in einem leeren Raum, ohne Ziel, ohne „Nutzen“, ohne Tagesordnung führen. Schwierig! Aber vielleicht würde schon ein kleiner Ansatz einer eher dialogischen Vorgehensweise helfen, daß wir alle anders miteinander umgehen können!
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen/Euch einen guten 4. Dezember mit guten Gesprächen und Gedanken.