Ein Zufall! Vor etwas mehr als zwei Wochen war ich in Berlin. Ich besuchte zwei Tagungen und – natürlich – besuchte ich auch die eine oder andere Buchhandlung. Auf der Rückfahrt von Berlin (ich hatte damals schon die Idee zu diesem Adventskalender und dachte intensiv über die einzelnen Zahlen nach) las ich in dem Buch „Masse und Demokratie“ von Stefan Jonsson das erste Kapitel und begnete dort der Zahl fünfzehn. Wirklich ein Zufall, aber gleichzeitig auch ein wichtiger Fund.
Was geschah in Wien am 15. Juli 1927? Ich konnte diese Frage nicht beantworten, die Schilderung in dem Buch „Masse und Demokratie“ nahm mich sofort gefangen. In den 20er Jahren gab es in Österreich wohl eine deutliche Spaltung zwischen der sozialdemokratischen Bewegung und den radikalen Konservativen. Sonntags fanden in vielen Orten Demonstrationen statt. Bei einer Demonstration in Schattendorf wurden zwei Menschen durch Schüsse in den Rücken erschossen – ein Arbeiter und ein achtjähriger Junge. Am 14. Juli 1927 sprachen die Geschworenen die Angeklagten (alles sogenannte „Frontkämpfer“) frei, obwohl diese die Tat selbst gestanden hatten. Am nächsten Morgen verkündeten die Zeitungen das Urteil und es kam zu einer spontanen großen Demonstration der Arbeiter. Die Demonstranten belagerten unter anderem den Justizpalast. Am frühen Nachmittag eröffnete die Polizei das Feuer. 89 Menschen starben, über 1000 Menschen wurden verletzt – gleichzeitig kann man sagen, daß an diesem Tag die demokratischen Formen zusammenbrachen. Es ist interessant zu lesen (und auch in Bildern zu sehen), wie unterschiedlich diese Ereignisse je nach Perspektive des Berichtenden wahrgenommen und erzählt wurden. Die Gegenüberstellung dieser unterschiedlichen Perspektiven macht das erste Kapitel wirklich interessant.
Um den Umgang mit Gewalt geht es auch im Buch „What do you buy the children of the terrorist who tried to kill your wife?“ von David Harris-Gershon. Im fünfzehnten Kapitel setzt sich David, der Ehemann einer Frau, die bei einem Terroranschlag in Israel schwer verletzt wurde, damit auseinander, daß er als Angehöriger auch ein Opfer ist. Das enge Mitleiden mit dem Opfer – so Harris-Gershon – kann uns selbst zum Opfer werden lassen. Er lernt dies aus der Beschäftigung mit der südafrikanischen Truth and Reconciliation Commission und den Berichten darüber – insbesondere aus dem Buch „Country of my skull“ von Antjie Krog. Das ist der Moment, wo Harris-Gershon nicht nur die brutale Unmenschlichkeit des Terroranschlags sieht, sondern auch die Frage der Menschenrechte für Palästinenser. Eine Entwicklung die dazu führt, daß er Frieden und Versöhnung und das Gespräch mit dem Täter sucht. Ein sehr lesenswertes Buch!
Welchen Einfluß haben eigentlich Armut und Chancenlosigkeit auf unseren Umgang miteinander? Eine Frage, die wir wohl bald diskutieren sollten. Die „23 things they don’t tell you about Capitalism“ von Ha-Joon Chang könnten dabei durchaus helfen. Oft wird behauptet, daß die Menschen in ärmeren Ländern einfach nur nicht unternehmerisch genug sind, einfach nicht die richtige „Haltung“ haben. Aber so einfach ist es nicht, eher im Gegenteil. Und Kapitel fünfzehn aus diesem Buch anaylisiert genau diese Frage.
Und wie wäre es mit etwas „Sanftmut“, denn darum geht es im fünfzehnten Kapitel von „Ermutigung zum unzeitgemäßen Leben“ von André Comte-Sponville. Comte-Sponville beschreibt die Sanftmut als eine weibliche Tugend – und zwar als Mut ohne Gewaltsamkeit, Stärke ohne Härte und Liebe ohne Zorn. Vielleicht ist es treffender Sanftmut als Gegenteil der Barbarei und damit als Synonym für Zivilisation zu sehen. Eine Tugend, die wir auch heute dringend brauchen – und zwar unabhängig davon, ob wir nun männlich oder weiblich sind.
In diesem Sinne möchte ich Ihnen/Euch einen guten und wahrhaft zivilisierten 15. Dezember wünschen.